Abwrackprämie: Konjunkturstütze o. Ressourcenverschleuderung

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spitzerer
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Abwrackprämie: Konjunkturstütze o. Ressourcenverschleuderung

Beitrag von spitzerer »

Abwrackprämie: Konjunkturstütze und Umweltschutz oder hemmungslose

?Mit der Abwrackprämie gehen wir den alten Dreckschleudern an den Kragen und helfen unserer Automobilindustrie.
(Michael Glos (CSU) ehemaliger Wirtschaftsministergegenüber BILD.de

Was ist eigentlich eine Abwrackprämie? Ursprünglich ist es eine für das Abwracken eines Binnenschiffs gewährte Prämie zum Zwecke der Bereinigung der Struktur der Binnenschifffahrt in der Europäischen Union. Durch die Gewährung dieser Prämie für den Eigentümer eines Binnenschiffs sollten Kapazitätsüberhänge in der europäischen Binnenschifffahrt abgebaut werden. Hat sich unsere Bundesregierung an den EU-Vorgaben für die Binnenschifffahrt orientiert als sie die Abwrackprämie ins Leben gerufen hat? Dem nachdenkenden Bürger stellt sich die Frage, geht es im Autoverkehr um Kapazitätsüberhänge oder um die Bereinigung des Straßenverkehrs von Altfahrzeugen? Gute Frage! Schließlich können die meisten gängigen Autotypen in Deutschland wohl eher weniger als ?Schiff? bezeichnet werden. Um die Konjunktur anzukurbeln hat das Bundeskabinett am 8. April 2009 beschlossen, die Abwrackprämie von 1,5 Milliarden auf 5 Milliarden Euro anzuheben. Damit können bis Ende des Jahres maximal 2 Millionen neue Pkws gefördert werden. Bis zum 29. April 2009 sind im Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) bereits 480.160 Anträge auf Gewährung der Umweltprämie nach dem alten Verfahren und 872.982 Anträge auf Gewährung der Umweltprämie nach dem Reservierungsverfahren eingegangen. HartzIV-Empfänger kommen jedoch nicht in den Genuss der Abwrackprämie. Nach Rechtssprechung des Bundessozialgerichts gilt für Hartz-IV-Empfänger ein Auto bis zu einem Wert von 7500 Euro zwar als angemessen, die Abwrackprämie gelte jedoch als eine "Einnahme in Geldeswert", die als Einkommen berücksichtigen werde. Dies gelte auch, wenn die Prämie an den Verkäufer des Neuwagens abgetreten werde. Es wird mit zweierlei Maß in der Gesellschaft gemessen, wer hat, dem wird gegeben. Abgesehen von der ungerechten Verteilung der sogenannten Umweltprämie stellt sich auch die Frage nach dem Sinn oder Unsinn des Konjunkturprogramms. Wirtschaftsforscher hegen Zweifel daran, dass die Abwrackprämie der Umwelt überhaupt nutzt, denn der CO2-Ausstoß der neu zugelassenen Fahrzeuge fällt häufig nur wenig geringer aus, als der aus dem Verkehr gezogenen alten Fahrzeuge. Der Bestand an Altfahrzeugen ist in Deutschland ohnehin nicht sehr hoch. Unter den 32,% der Fahrzeuge, die älter als 11 Jahre sind, befindet sich ein beachtlicher Teil, der bereits mit Katalysator ausgerüstet ist und die grüne Plakette ohne Probleme erhält. Das Deutsche Kraftfahrzeuggewerbe hat im Jahr 2007 eine Statistik über die Altersklassen der Pkw in Deutschland veröffentlicht (Zahlen & Fakten 2007 Ausgabe 2008: http://www.kfzgewerbe.de/verband/zahlen ... 35054.html)

Pkw-Alter Pkw-Bestand
0 - 4 Jahre 11.745.096
5 - 7 Jahre 8.001.936
8 - 10 Jahre 8.084.205
11 - 13 Jahre 6.447.129
14 - 15 Jahre 2.681.723

Haltedauer von Fahrzeugen 2007 (Zahlen in der Klammer von 2006)
Neuwagen durchschnittlich 68 Monate (66 Monate)
Neuwagen, wenn der Vorwagen ein Neuwagen war 69 Monate (66 Monate)
Neuwagen, wenn der Vorwagen ein Gebrauchtwagen war 67 Monate (70 Monate)
Gebrauchtwagen durchschnittlich 77 Monate (76 Monate)
Gebrauchtwagen, wenn der Vorwagen ein Neuwagen war 102 Monate (101 Monate)
Gebrauchtwagen, wenn der Vorwagen ein Gebrauchtwagen war 70 Monate (70 Monate)
Quelle: DAT
Mehr Informationen zu Pkw-Neulassungen im Internet unter: www.kfzgewerbe.de/verband/zahlen

Pkw-Durchschnittsalter

Pkw-Durchschnittsalter Jahre
2007 8,3
2006 8,1
2005 8,0
2004 7,6
2003 7,4
2002 7,2
2001 7,1
2000 6,9
1995-1999 6,8
1994 6,6
1993 6,5
1992 6,3

Altersstruktur der Pkw 2007
1 bis 4 Jahre 28,5 %
5 bis 7 Jahre 19,4 %
8 bis 10 Jahre 19,6 %
ab 11 Jahre 32,5 %
Gesamt 41,2 Mio. 100,0 %

1) Ohne die vorübergehend stillgelegten Fahrzeuge. Um einen Vergleich zum 01.01.2008 mit den
Vorjahreswerten zu ermöglichen, wurden die Vergleichswerte angepasst.
Quelle: KBA

Opel ist quasi pleite und insgesamt klagte die Automobilindustrie Anfang des Jahres über Umsatzeinbußen. Auch die Einführung Umweltzone zeigt sich als nicht wirksam, weil die eigentlichen Verursacher sowieso nicht zur Verantwortung gezogen werden. Da kommt ein Konjunkturpaket gerade recht. Der Staat holt sich schließlich die Abwrackprämie über die Mehrwertsteuer, die beim Neuwagenkauf anfällt wieder. Subventioniert werden also Autoindustrie und Autohändler nicht aber der Autofahrer. In Deutschland hat sich eine krankhafte ?Geiz ist Geil ? Mentalität? entwickelt, Hauptsache billig, da wird nicht viel nach dem Sinn gefragt. Es wird mitgenommen was mitgenommen werden kann. Wenn der Staat Geld ?verschenkt?, wird nicht mehr nachgerechnet. Die Abwrackprämie macht die Konsumenten blind, sie stellen sich gar nicht die Frage ob das Auto vielleicht noch viele Jahre ohne Probleme gefahren wäre oder ob der wahre Wert des Wagens über 2500 Euro liegt. Der Internet-Fahrzeugmarkt "mobile.de" hat vor kurzem ermittelt, wie viel neun Jahre alte Autos tatsächlich noch wert sind. So ist der Wiederverkaufswert eines VW Golf mit Erstzulassung 1999 noch doppelt so hoch wie die 2.500 Euro Abwrackprämie und ein neun Jahre alter Ford Focus wird beispielsweise für knapp 4.000 Euro angeboten. Viele ältere Fahrzeuge der Kompakt- und Mittelklasse sind deutlich hochwertiger. Eine Verschrottung lohnt sich hier niemals. Bevor Sie also mit Ihrem in die Jahre gekommenen Fahrzeug zum Schrottplatz fahren, sollte unbedingt ein Restwert-Gutachten eingeholt werden (Quelle: http://www.arcor.de/content/auto/messen ... rsize.html).

In Deutschland sind rund 41,2 Millionen Pkws, 2.323.064 Lkws und 3.566.122 Motorräder angemeldet. Bei voller Ausnutzung der Abwrackprämie werden gerade mal knapp 1,5 % des Pkw-Bestands erneuert. Von der Abwrackprämie jedoch nehmen hauptsächlich Fahrer kleiner und sparsamer Fahrzeuge die Prämie in Anspruch und nicht die Fahrer von Luxuswagen oder SUVs. Nur selten werden umweltfreundliche Großfahrzeuge mit Hilfe der Abwrackprämie durch umweltfreundlichere Autos ersetzt. Somit ist der Effekt, der von der sogenannten ?Umweltprämie? ausgehen soll, sowieso relativ gering. Obendrein ist das Verschrotten von Autos, die verkehrstüchtig und funktionsfähig sind eine verantwortungslose Ressourcenverschleuderung ohne Gleichen. Ein Auto braucht bei der Herstellung so viel Energie, wie nie mehr im ganzen späteren Autoleben. Die online-Zeitung Heise schreibt am 10.03.2009 unter der Überschrift ?Ökobilanz der Abwrackprämie ist negativ? (http://www.heise.de/tp/r4/artikel/29/29881/1.html), dass Autos nun nach neun Jahren oder umgerechnet nach durchschnittlich nur 57,5 % ihrer eigentlichen Lebensdauer verschrottet (werden), das bedeute für diese Fahrzeuge, dass bei ihnen rechnerisch 50 % der Umweltwirkungen außerhalb der eigentlichen Nutzungszeit anfallen. Diese 50 % stünden einer maximal möglichen 35 %igen Kraftstoff- und Emissionsminderung durch Modernisierung eines Teils der PKW-Flotte gegenüber, aber dies auch nur unter der Prämisse, dass nur Kleinwagen gekauft würden was wiederum bedeute: Die Wirkung der Umweltprämie ist negativ. Hinzu kämen noch weitere negative Effekte durch den großen Ressourceneinsatz bei der Autoproduktion. Neben der eigentlichen Rohstoffgewinnung und Verarbeitung für die Pkw-Produktion werden nach Angaben des World Wide Fund For Nature (WWF) zur Herstellung eines Pkw auch noch durchschnittlich 450.000 Liter Wasser benötigt. In der Summe entstehen 30% der negativen Umwelteffekte außerhalb der eigentlichen Nutzungszeit eines Autos ? wenn seine Lebensdauer voll ausgeschöpft und nicht künstlich verkürzt wird. Im Fall der Abwrackprämie sei die Verkürzung der Nutzungsdauer zugunsten sparsamerer Technik umweltpolitisch sogar kontraproduktiv. Niemand fragt woher die Rohstoffe für die Autoproduktion kommen. Es wird auch vollkommen außer Acht gelassen, dass Verschrottungen ebenfalls Energie verbrauchen und die Neuwagenproduktion enorme Ressourcen verschlingt. Gemäß Statistik des Deutschen Kraftfahrzeuggewerbes seien Pkws mit neun Jahren erst im besten Alter und normalerweise keineswegs verschrottungsreif. Zur Zeit seien 42,5 % aller Pkws neun Jahre alt oder älter. Bei der Emission von Treibhausgasen tragen Herstellung und Verschrottung des Fahrzeugs (bei einer angenommenen Recyclingquote von 75 %) bei Annahme einer Kilometerleistung von 150.000 Kilometern rund 30 % der Umweltwirkungen bei, die während der "Lebensspanne" eines Fahrzeugs, inklusive Kraftstoffbereitstellung, entstehen.

Pkw-Neuzulassungen 3.148.163 (? 9,2 %)
Lkw-Neuzulassungen 274.747 (+ 10,1 %)
Motorrad-Neuzulassungen 187.284 (+ 1,4 %)
Pkw-Besitzumschreibungen 6.262.145 (? 7,0 %)
Lkw-Besitzumschreibungen 267.109 (+ 0,2 %)
Motorrad-Besitzumschreibungen 453.957 (+ 12,6 %)
Pkw-Bestand1 41.183.594 (+ 0,4 %)
Lkw-Bestand1 2.323.064 (+ 2,3 %)
Motorrad-Bestand1 3.566.122 (+ 2,6 %)
Pkw-Löschungen2 8.071.191
Nfz-Löschungen2 3 659.832
Kraftwagendichte je 1.000 Einwohner
Pkw 501 (+ 0,6 %)
Lkw 35 (+ 2,9 %)
Kraftwagendichte gesamt 536 (+ 0,8 %)
Service-Aufträge inkl. Unfallreparatur 82,8 (? 1,3 %)
Durchschnittspreis Pkw neu 25.970 (+ 6,1 %)
Durchschnittspreis Pkw gebraucht 8.400 (+ 1,1 %)
Durchschnittspreis Werkstattstunde 65,04 (+ 3,0 %)

Quelle: Zahlen und Fakten, Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe, Autojahr 2007 im Überblick

?Eine rasche Bestandserneuerung ist das beste Umweltprogramm?
(Zitat des Präsidenten des Verbands der Automobilindustrie (VDA) in einer Pressemitteilung vom 22. Februar 2006)

Autoproduktion ? ein enormer Ressourcenverbrauch
Bei der Herstellung eines Fahrzeugs entstehen rund 800kg Abfall, bei den Zulieferern weitere 1.300 kg. Unter Berücksichtigung der Rohstoffgewinnung mit Bergbau und Verhüttung entstehen sogar 25 Tonnen Abfall, das beträgt ca. das 20fache des Eigengewichts des Fahrzeugs. Der BUND hat ausgerechnet, dass ein Pkw mit dem Gewicht von einer Tonne vom Erzabbau bis zur Verschrottung demnach sogar 70 Tonnen Natur verbraucht. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) empfiehlt deshalb Gegenstände mit großem ökologischen Rucksack auszuleihen, gemeinsam zu nutzen oder gebraucht zu kaufen. Diesen Rat befolgen Old- und Youngtimerfahrer seit Jahren. Sie sind immun gegen die Lockangebote des Staates, sind traditionsbewusst, wollen alte Werte erhalten, fahren wenig, meist bei schönem Wetter (wenn der Ozonwert ohnehin am niedrigsten ist) und im Winter (wenn der Ozonwert am höchsten ist) meist gar nicht, weil sie ihr Auto schonen vor Korrossionsschäden durch Schnee und Salz. In Anbetracht des enormen Ressourcenverbrauchs bei der Produktion ist nur die längstmögliche Verwendung eines Fahrzeugs ökologisch vertretbar und sinnvoll. Unter dem Deckmantel des Umweltschutzes werden Fahrzeuge nicht nur durch die Feinstaubzone sondern auch durch die Abwrackprämie aus dem Verkehr gezogen. Eindeutiger Profiteur dieser Regelungen ist die Automobilbranche. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage ob unter der missbräuchlichen Argumentation des Umweltschutzes von vorn herein primär der Verkauf von Neufahrzeugen angekurbelt werden soll?
Oldtimer- und Youngtimerbesitzer gehören nicht zwingend zur vermögenden Bevölkerungsgruppe, auch wenn dies in der Presse immer gern so dargestellt wird. Sozial schwache Bürger, die sich aus finanziellen Gründen kein neues Auto leisten können, sind von der Regelung ebenso betroffen, wie ältere Bürger, die aus Altersgründen und der geringen jährlichen Fahrleistung kein neues Auto kaufen möchten oder können. In erster Linie sind es die Konsumverweigerer, darum unser Motto ?Pflegen und Hegen ist der wahre Umweltsegen?.

Christine Wicht
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